20.9.2010

Sanfter Kampf im Paradies

Tina Stommel

 

Gäbe es an den Landstraßen rund um Meckenheim Parkbuchten, viele würden zu Dieben: Apfelbäume, so weit das Auge reicht, nur eine Grasnarbe vom Asphalt entfernt. 18.000 von ihnen gehören Lothar Krämer. Der 42-jährige Obstbauer bewirtschaftet die Plantage in der vierten Generation - und in der ersten als biologische Produktion.
So schön kann Bio sein: Die Äpfel von Obstbauer Lothar Krämer in Meckenheim haben die perfekte Paradiesfarbe.

So schön kann "Bio" sein: Die Äpfel von Obstbauer Lothar Krämer in Meckenheim haben die perfekte Paradiesfarbe. Foto: Horst Müller

Der Traktor bleibt stehen, leider. Heute wird nicht geerntet, sondern geguckt und erzählt, da reicht der weiße Transit. Lothar Krämer fährt vom Parkplatz seines Hofes, vorbei am Hofladen, wo Zier- und Esskürbis, Kartoffeln und irgendwo dann auch Äpfel die Lauf- und Fahr-Kundschaft locken. "Es gab mal Zeiten", sagt er, "da reichte es, einen Tisch mit Äpfeln rauszustellen. Heute möchte der Kunde Vollversorgung." Der Kunde möchte ziemlich viel in diesen Zeiten. Obst nämlich, das "Bio" ist, aber nicht so aussieht.

"Bio" ist der Hof von Krämer seit 2001. Äpfel produziert er aber schon seit 50 Jahren. Und der Hof an sich ist 144 Jahre alt. 1866 begannen Krämers Urgroßvater und seine Frau mit Zuckerrüben, Weizen und Milchvieh. In den Sechzigern des 20. Jahrhunderts legte Krämers Vater Joseph dann die Apfelplantage an. "Er war in vielerlei Hinsicht ein großes Vorbild für mich", sagt Krämer.

Nur in einer Hinsicht nicht: Die Generation seines Vaters war die "Generation Chemie", in den Nachkriegsjahren wurde gespritzt und gesprenkelt, was die Labore hergaben, um die natürlichen Feinde der Produktion zu eliminieren. "Ich weiß noch, wie mein Vater einmal nach Hause kam von den Feldern, die Hände rot wie Blut. ?Unglaublich", hat er gesagt, ?was die rote Spinne für einen Schaden anrichtet"." Wo er auch hingegriffen hatte, zerdrückte er rote Schädlinge.

Bei Lothar Krämer wird der Kampf gegen Schädlinge sanft geführt. Und, so scheint"s, gewonnen: Schön, paradiesapfelschön, sind die Früchte von Krämer. Ein Muttersatz kommt in den Sinn: "Die krumpeligsten Äpfel schmecken am besten." Einen gegessenen Apfel weiter weiß man: Beides geht, schön und lecker. Die säuerliche Elise hat dran glauben müssen, Geschmacksverwandte des Elstar. 16 verschiedene Sorten baut Lothar Krämer an.

Dort, wo der Topaz-Apfel wächst, ist mitten im perfekten Farbspiel aus saftiggrünem Blatt und knallroter Frucht ein Baum im Herbst angekommen: Wurzelschaden durch hungrige Mäuse. Was tun? Bei Krämers wird daraus die Frage: Wer frisst Mäuse? Greifvögel und Eulen. Für beide gibt es Wohnstätten auf der Plantage, und da sind sie auch eingezogen - einmal sogar als gemischte WG: "Es ist sehr ungewöhnlich", sagt Krämer. "dass sich Turmfalke und Schleiereule ein Haus teilen. Für den Nachwuchs ist das ja praktisch: Die einen Eltern sind nacht-, die anderen tagaktiv. Da kann man sich beim Babysitten abwechseln ..."

Die Natur, dein Freund und Helfer. Wo ein Schädling, da findet sich fast immer einer, der den Schädling frisst. Man muss ihn nur herbekommen. Der Mensch, der so produzieren will, tritt ein in einen ständigen Lernprozess. Seit neun Jahren ist Krämer jetzt der Chef. Sein Vater starb früh, der andere Sohn studierte Sozialpädagogik, die Schwester aber macht auch in Äpfeln, sie organisiert den Abo-Kisten-Verkauf übers Internet.

Die Mutter managt den Hofladen. 150 Tonnen Äpfel erntet der Krämersche Hof pro Jahr. Da lacht die Großindustrie drüber, "aber so ist das", sagt Krämer: "Bio-Obst macht nach wie vor nur vier Prozent des Marktes aus." Neben der Familie packt noch ein Mitarbeiter mit an, plus acht Saisonkräfte.

Auf zehn Hektar stehen kleine Apfelbäumchen brav und eng in Reih und Glied. Zwei Hektar daneben sieht alles anders aus. Dort landen, sagen jedenfalls die Meckenheimer Bauernkollegen, demnächst ein Starfighter. Großzügige Reihen mit Sprösslingen, dazwischen viel Platz für - zum Beispiel einen Starfighter. Ja, spinnt denn der Krämer jetzt? Tut er nicht: Dort wachsen alte Sorten, starke Sorten, aus denen veritable Bäume werden. Die brauchen Platz. Und Zeit: Nach sieben Jahren sind sie groß.

Französische Bio-Kollegen waren letztens auf Krämers zwei Hektar zu Besuch. Sie hörten sich an, wie er vorgeht, dass er zum Beispiel Fledermäuse anlocken will, die die Feindin der Bäume, eine spezielle Mottenart, verspeisen sollen. Wie lockt man Fledermäuse? "Mit einem Teich. Fledermäuse trinken im Flug. Also braucht es ein stehendes Gewässer, damit sie sich wohl fühlen."

Batman in Meckenheim. Ein prima Thema für die nächsten Karnevalssitzungen in Meckenheim. Dort war schon mal eine Krämersche Eigenart Thema: das mit den Mondäpfeln nämlich. "Ey, gestern war Vollmond, hast du auf den Feldern die vielen Glühwürmchen gesehen?" zitiert Krämer den ihm wohlbekannten Narren-Gag. "Nee, Mann, das waren keine Glühwürmchen, das war der Krämer beim Mondäpfelernten!" So ist es. Immer kurz vor Vollmond führt Krämer eine kleine Gruppe Interessierter nachts in die Plantage. "Kurz vor Vollmond gepflückte Äpfel lassen sich länger lagern", sagt Krämer.

Die Idee hat er von einem anderen Bio-Hof aus Norddeutschland, wie seiner auch ein Demeter-Hof - der Demeter-Anbauverband wurde von Rudolf Steiner begründet und definiert eine bestimmte biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. Mondäpfel sind nicht vorgeschrieben - aber für Krämer ist diese Aktion auch vor allem ein Weg, seine persönliche Leidenschaft anderen nahezubringen: "Lebensmittel", sagt er, "sollten wirklich Lebens-Mittel sein: nicht einfach nur schön und gesund, sondern als pflanzliche Frucht ein hoch zu schätzendes Gut der Natur."

Weitere Informationen: Obstplantagen Krämer, Bonner Str. 1, Meckenheim, Tel. (02225) 25 77, www.biokraemer.de
Artikel vom 20.09.2010